Samstag, 10. Juni 2017

Was soll man nach einem ereignisreichen 14-Stunden-Tag schreiben? Die vielen Begegnungen, die verschiedenen Landschaften beschreiben, die Fragen, die gestellt wurden und die wenigen Antworten darauf, eigene Betrachtungen zu einem Land mit seinen Problemen und Herausforderungen, die aber nicht nur Kenia betreffen, sondern letztlich die ganze Welt, zu der bekanntlich ja auch Österreich gehört. Oder von jedem das bisschen, das mir am stärksten in Erinnerung geblieben ist. Nachdem es im Zimmer wieder sehr heiß wird und hier draußen ein angenehmer warmer Wind weht, kann ich ja noch bleiben, obwohl es schon recht spät ist.

In der Früh der schon erwartete Weckruf des Muezzins, mehr als eine Stunde später um sechs die Kirchenglocken. Dafür um halb sieben schon die hl. Messe mit singender und spielender Beteiligung von Dutzenden von Kindern. Ich habe natürlich auch was sagen dürfen, schön langsam schaff ich es schon ziemlich fehlerfrei und so einfach, dass mich auch die Kinder verstehen. Die Kirche ist sehr groß, den runden Hütten der Menschen nachempfunden und im Inneren sehr einfach und trotzdem schön. Auffällig das in den Boden versersetzte Taufbecken, in das man hinuntersteigt und wo Fr. Gerald nach zweijährigem Katechumenat zu Ostern 92 Erwachsene getauft hat, obwohl er sich nicht als der große Missionar versteht.

Beim Frühstück haben wir zwei Angestellte der Landesregierung (countie of Marsabit) kennengelernt, die sehr stolz von ihrem fahrenden Spital erzählten, mit dem sie gerade In Noth Horr eingetroffen sind. Wir durften es später besichtigen, waren jedoch vom pfarrlichen Health-center mit seiner Baby-feed Station mindestens so beeindruckt. Die katholischen Pfarren sind auch hier sehr vielseitig aktiv, vor allem das Bildungs-und Gesundheitssystem würde wohl nur schwer ohne sie auskommen.

Auf der Fahrt in die Dörfer besuchten zuerst zwei Familien in ihren runden Häusern, die irgendwo in der Gegend standen. Wir durften ein Gespräch mit ihnen führen und es auch aufzeichnen. Da wurde uns noch einmal die Dramatik der Situation geschildert. Beide Familien besaßen je 600 Schafe und Ziegen, davon sind der einen 60, der anderen 40 Ziegen übergeblieben. Und jetzt haben sie keine Arbeit und bald auch kein Essen mehr. Dies trifft vor allem die Alten und die Kinder, die so geschwächt sind, dass sie nicht mehr das Hüttenzelt verlassen können. Das Schlimme beim Zuhören war, dass es sich so perspektivenlos anhörte. Sie wissen einfach nicht weiter und warten ab, was die Zukunft bringen wird.

Dann fuhren wir wieder über ausgesprochene Mondlandschaften in zwei Dörfer Yaa Sharbana und Qorqa, wo jeweils der Ältestenrat, bestehend aus lauter älteren und alten Männern. unter einem weiten schattenspendenden Baum auf uns wartete. Nachdem wir über den Einsatz von Caritas und Pacida während er beiden letzten Dürreperioden erzählt und sie um Mitarbeit bei der bevorstehenden Pressereise, die auch ihre Dörfer im Programm hat, gebeten haben, entwickelte sich beide Male eine sehr spannende und unglaublich disziplinierte Diskussion. Bei der ersten Runde war ich sehr überrascht, wie sehr sich die Menschen ihrer dramatischen Situation bewusst sind und wie ratlos sie ihr gegenüberstehen. Schon mehrmals hätten sie Dürrperioden durchgestanden. Und sie werden auch diese durchstehen, aber sie fürchten sich vor allem vor der Zukunft, denn sie wissen inzwischen, dass diese sich immer schneller wiederholen werden und sie nichts anders können als Viehhirten sein: „Wir können auch nicht fort, wohin sollen wir gehen. In die Stadt? Von uns Erwachsenen sind fast 100% Analphabeten, wir sprechen nur unsere Muttersprache, kein Englisch, nicht einmal Suaheli!“ Nach ähnlichen Wortmeldungen stand der Dorflehrer auf, der Englisch sprach und in die Stammessprache übersetzt werden musste. Er bestätigte das Gesagte, wandte sich aber sehr kritisch an die übrigen Männer: „Seit 2010 haben wir eine schöne Schule im Dorf. Der Staat zahlt nur die Lehrer, für alles Übrige müsst ihr aufkommen. Gerade in so einer Situation müsstet ihr noch mehr Sorge für die Schule haben, die Zukunft eurer Kinder. Aber was tut ihr? Ihr liegt hier herum, beklagt euch und schickt eure Kinder auch nicht mehr zur Schule, weil ihr das Schulgeld nicht zahlen könnt oder wollt. So nehmt ihr auch ihnen die Zukunft!“ Lösung für die derzeitige Situation hatte er auch keine. Wieder andere brachten es auf den Punkt: Sie könnten nichts Anderes tun als Organisationen wie der Caritas und Pacida ihren Dank sagen, ohne sie wüssten sie nicht was tun.

Anders verlief die Diskussion bei der zweiten Runde, wo wir zuerst eine sehr tragische Situation wahrnehmen mussten. Die Viehhirten waren reich, hatten große Herden, mit denen sie herumzogen. Immer wieder machten sie Halt, holten von ihren Lastkamelen die Bestandteile ihrer Hütten und ihr übriges Hab und Gut herunter – die Alten, die Frauen und Kinder wohnten dort eine Weile, die Männer führten die Tiere auf die Weide. Nun sind alle Kamele vor Hunger verendet, auch der größte Teil des Viehbestandes, einige Familienmitglieder suchen für die verbleibenden Tiere Weidefläche, sie aber bleiben untätig bei ihren Hütten mitten in der Steinwüste, inmitten ihrer verendeten Tiere und fürchten nun auch noch ihre Kinder, die in höheren Schulen oder Universitäten studieren, heimholen zu müssen, weil sie das Studium nicht mehr bezahlen können. Und sie lassen sich über die Regierung aus. Drei Säcke Mais hätten sie ihnen gebracht, sie einfach ausgeladen, und das für 150 Familien. Und bei einer Wahlveranstaltung haben sie ihnen zwei große Wassertanks versprochen und zugestellt, nur das Wasser fehlt noch immer! Auch hier der Dank und die Bitte um Unterstützung, die ihnen im Moment das Überleben sichert. Auch hier wird nicht wirklich weitergedacht. Und am allerwenigsten tut das die Regierung, entnehmen wir aus den Erzählungen.