Zur Anreise nur so viel: Irgendwie ist es doch verrückt, mit dem Auto von Klagenfurt nach Wien zu fahren, um dann nach Amsterdam zum Umsteigen zu fliegen und dann wieder über Villach Richtung
Kenia zu reisen.
Ich war aber überrascht, wie weit entfernt Nairobi dann doch wieder von Europa ist – über acht Stunden Flugzeit, davon sechs von der Nordküste Afrikas. Das ist ganz schön viel. Vom Flughafen
abgeholt wurden wir von Oberin Schwester Paulina und deren Bus mitten in der Nacht. Und schon bei der ersten Fahrt zum Hotel traten Gegensätze zutage, die uns wohl weiter begleiten werden. Zuerst
– wie bei den meisten Verbindungsstrecken zwischen Hauptstadt und Flughafen – eine sechsspurige Stadtautobahn, gesäumt von überraschend westlich anmutenden Wirtschaftsbetrieben und
Industrieanlagen, die auf eine wohlhabende Stadt hindeuten. Dann der plötzliche Schnitt mit großteils nicht asphaltierten, löchrigen und mit tiefen Pfützen übersäten Straßen – voll von Menschen.
Auf beiden Seiten Verkaufsbuden, dahinter Andeutungen von kleinen Wohnhütten – die dritte Welt völlig unvermittelt neben der ersten. Der Traum von der ,,Einen Welt“ entpuppt sich wieder einmal
nur als Traum.
Ein Tag mit starken Eindrücken, schönen und schrecklichen. In der Früh das erste Mal die Fahrt in den Slum von Korogocho, der nach dem Regen nass und dreckig war, aber voller Menschen. Wir fuhren
zur Kirche, um den Sonntagsgottesdienst mitzufeiern. Die Kirche war voll – an die 800 Menschen haben hier Platz, haben wir später erfahren, eine Messe ging gerade zu Ende. Schön gekleidete
Menschen strömten heraus, aber innerhalb von Minuten füllte sich die Kirche wieder.
Ich durfte mit einem alten italienischen Aushilfspriester konzelebrieren, der schon über 40 Jahre in Uganda und Kenia arbeitet und Suaheli wohl perfekt beherrscht. Er stand in sehr ruhiger und
sympathischer Weise dem Gottesdienst vor. Gestaltet wurde dieser hauptsächlich von Laien in allen möglichen liturgischen Diensten, die es in Europas Kirchen so gar nicht gibt: Neben einem großen
Chor, der in der Mitte der Kirche in den Bänken seinen Platz hatte, gab es vorne noch drei Kinder-Tanzgruppen, die während der Lieder ruhig und doch bewegt tanzten, begleitet von Trommeln und
Harmonium und vor allem auch vom Klatschen der Gläubigen. Für die Lesungen gab es zwei Lektoren, der eine machte die Einleitung, der oder die andere las den Text. Die Fürbitten wurden von
Mitfeiernden, die dazu heraustraten, frei formuliert. Interessant die Gabenbereitung: Zuerst wurden in der ganzen Kirche mit einem Schloss versehene Kisten aufgestellt. Die Leute kamen aus den
Bänken und spendeten Geld. Zum Abschluss brachten mindestens 20 Gläubige noch Naturalgaben wie Mehl und Obst vor den Altar. Die Messe verlief trotzdem geordnet und ruhig –unterbrochen nur von
fröhlichen und lang andauernden Gesängen. Nach fast zwei Stunden waren wir alle froh gestimmt – ein schöner Start in unsere Reise.
Wir sollten noch den ganzen Sonntag Gesänge von ganz verschiedenen Gemeinschaften aus unzähligen – zum Teil sehr ärmlichen – Gottesdiensträumen hören und mit Verwunderung feststellen, dass es
mehr christliche Kirchen in Nairobi gibt als ich bisher überhaupt gekannt habe. Sie werden wohl eine wichtige Funktion für die armen Menschen haben, und wenn es nur dringend benötigte materielle
Hilfe wäre, aber es werden von ihnen zweifellos spirituelle Bedürfnisse gestillt, die gerade für Menschen unter solchen Lebensbedingungen von großer Bedeutung sind.
Nach der Messe gingen wir zu den Franziskanischen Missionsschwestern für Afrika, die als unsere wichtigsten Projektpartnerinnen in Nairobi für die nächsten Tage unsere stets aufmerksamen und
freundlichen Begleiterinnen werden sollten.
Sie führten uns zuerst in ihr Altenpflegeheim, das zugleich auch Tagesstätte für ältere Frauen aus der Umgebung ist. Hier erwarteten uns schon die Bewohner und Bewohnerinnen. Eine soll 110 Jahre
alt sein! Mit großem Selbstbewusstsein hießen sie uns in ausgezeichnetem Englisch willkommen und erzählten aus ihrem Leben, wobei von allen die große Dankbarkeit für die Aufnahme im Wohnheim
betont wurde. Als wir uns während des Mittagessens von ihnen verabschiedeten, staunten wir nicht wenig, mit welchem Appetit sie aus einer ziemlich großen Plastikschüssel von einer Gaststätte
gespendete Hühnerknochen mit etwas Fleisch daran und Polenta mit den Händen verzehrten. Zur Nachspeise gab es zwei Zuckerln und zwei Keks. Später erfuhren wir, dass für die meisten im Slum ein
solches Mittagessen nicht erschwinglich ist.
Das andere Extrem erlebten wir gleich danach, als uns der freikirchliche Pastor Idaki durch den Slum zum Müllberg führte, über den wir einige hundert Meter weit marschierten. Wir konnten dabei
mit Entsetzen Menschen bei ihrer Suche nach verwertbarem Material, kleine Kinder bei ihrem Spiel, Hunde, Schweine, Kühe auf der Suche nach Nahrung, und vor allem Dutzende von Geiern, die in
Gruppen auf tote Tiere warteten, beobachten. Rund um das riesengroße Gelände sahen wir Familien vor kleinen Hütten aus Wellblech oder auch in großen Wohnhäusern auf Balkonen sitzen, die ständig
mit diesem schaurigen Bild und schrecklichen Gestank leben müssen. Das Bild war beklemmend. Wir konnten uns nicht so recht vorstellen, dass es so etwas gibt und es fällt auch schwer zu
akzeptieren, dass es so etwas geben darf in einer Welt mit so hohem Wohlstand, wie wir ihn kennen.
Nicht alle von uns verkrafteten das Gesehene gleichermaßen, sodass zum Abendessen bei den Schwestern nur noch ein Teil der Einladung folgte. Mich beschäftigte noch lange das europäische Gerede
von den Wirtschaftsflüchtlingen. Wer jemals Menschen in solchen Lebensbedingungen gesehen hat, wird wohl nicht sagen können, dass sie nicht das Recht auf Veränderung ihrer Situation haben – und
sei es durch Flucht nach Europa, von der sie sich eine solche erhoffen.
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